Es braucht neue Angebote für Langzeitarbeitslose

© Dietmar Mathis
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Altach, 2. Mai 2018 – Trotz guter Konjunktur und sinkender Arbeitslosigkeit entspannt sich die Situation für langzeitarbeitslose Menschen nicht. Dennoch hat die Bundesregierung das Budget der Sozialen Unternehmen gekürzt. Gemeinsam mit den Sozialen Unternehmen Vorarlberg rief das AMS Vorarlberg nun einen Thinktank ins Leben, um die künftige Gestaltung des zweiten Arbeitsmarkts in Vorarlberg mit Vertretern von Wirtschaft, Politik und Sozialpartnern zu diskutieren. „Wir brauchen längerfristige und differenzierte Angebote für Langzeitarbeitslose“, ist die Sprecherin der Sozialen Unternehmen Vorarlberg, Benedicte Hämmerle, überzeugt.

Die Kürzung des AMS-Budgets durch die Bundesregierung trifft die Sozialen Unternehmen Vorarlberg hart. „Die Betriebe haben mit einem Schlag, noch dazu mitten im laufenden Geschäftsjahr, fünf Prozent weniger Förderungen zur Verfügung. Das bedeutet, dass sie im zweiten Halbjahr zehn Prozent der Kosten einsparen müssen“, schilderte Benedicte Hämmerle, Sprecherin der Sozialen Unternehmen Vorarlberg, bei der Pressekonferenz zum „Tag der Arbeitslosen“.

Das werde deutliche Auswirkungen haben: „Die Sozialen Unternehmen müssen die Angebote reduzieren, obwohl die Zahl der Langzeitarbeitslosen in etwa gleich bleibt“, kritisierte Hämmerle. „Es wird wieder einmal bei den Schwächsten gespart.“

Im Dachverband Soziale Unternehmen Vorarlberg sind die AQUA Mühle Vorarlberg, carla der Caritas Vorarlberg, die Dornbirner Jugendwerkstätten, Integra Vorarlberg und die Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte organisiert. Sie bieten jährlich über 600 langzeitarbeitslosen Männern und Frauen eine vorübergehende Beschäftigung und Trainings, um sie auf den Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten.

 

Längerfristige Betreuung

Die Sozialen Unternehmen fordern seit langem Änderungen bei der Betreuung langzeitarbeitsloser Menschen: Sie sollen bei Bedarf länger in den Arbeitsprojekten beschäftigt werden – manche von ihnen auch dauerhaft. Das betrifft vor allem Geringqualifizierte, Ältere und Personen mit Gesundheitsbeeinträchtigung, die den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt kaum schaffen.

Derzeit können Betroffene durchschnittlich 4,5 Monate betreut werden. „Das ist in vielen Fällen zu kurz. Die Sozialen Unternehmen unterstützen die sogenannten TransitarbeiternehmerInnen währenddessen beim Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Doch nicht allen gelingt dieser Weg zurück. Nach Monaten der wiederholten Arbeitslosigkeit und Frustration kommen einige von ihnen erneut  zu den Sozialen Unternehmen“, beschrieb Benedicte Hämmerle die Situation. Sie fordert „Autonomie für Soziale Unternehmen. Darauf bauen erfolgreiche Initiativen auf.“ Sie sollen stärker selbst entscheiden können, um Menschen je nach Bedarf gezielt zu helfen.

 

Zweiten Arbeitsmarkt neu gestalten

Handlungsbedarf sieht auch das Arbeitsmarktservice Vorarlberg. Deshalb initiierte das AMS gemeinsam mit den Sozialen Unternehmen einen Thinktank, der am 12. April seine Arbeit aufnahm. Mehrere Arbeitsgruppen wollen nun neue Modelle entwickeln. „Nur wenn Wirtschaft, Politik, Sozialpartner, AMS und die Sozialen Unternehmen eng zusammenarbeiten, können wir die Probleme von Langzeitarbeitslosen effektiv lösen“, skizzierte Bernhard Bereuter, Geschäftsführer des AMS Vorarlberg.

Laut Wirtschaftsforschungsinstitut setzt sich das Wirtschaftswachstum auch 2018 fort. „In Vorarlberg rechnen wir wieder mit einem Rückgang der Arbeitslosigkeit. Personen, denen es trotz intensiver Bemühungen nicht gelingt eine Arbeit zu finden, brauchen die Unterstützung der Sozialen Unternehmen. Es ist deshalb dringend notwendig, den zweiten Arbeitsmarkt einerseits als Brücke in den ersten Arbeitsmarkt zu gestalten. Andererseits soll er Personen helfen, die zu den Bedingungen, die der reguläre Arbeitsmarkt fordert, nicht mehr arbeiten können“, betonte der AMS-Geschäftsführer. „Soziale Unternehmen schaffen Perspektiven. Sie ermöglichen finanzielle, gesundheitliche und persönliche Stabilisierung, Würde und gesellschaftliche Teilhabe.“

 

Stärkere Vernetzung

Auch Harald Moosbrugger, Leiter der Wirtschaftsabteilung des Landes, sieht die Notwendigkeit eines Schulterschlusses aller Partner. „Der zweite Arbeitsmarkt hat einen hohen Stellenwert für uns. Er qualifiziert und motiviert Menschen für den ersten Arbeitsmarkt. Das muss auch das primäre Ziel bleiben“, betonte Moosbrugger. Das Land hat seine Budgetansätze nicht reduziert, sondern hatte diese für 2018 nochmals erhöht. „Die Einsparungen des Bundes auszugleichen oder abzufedern, ist jedoch leider nicht möglich.“

Der Wunsch der Sozialen Unternehmen nach zusätzlichen Möglichkeiten der Betreuung ist für Moosbrugger verständlich: „Jene, die es – aus welchen Gründen auch immer – nicht schaffen, brauchen längerfristige Beschäftigungsverhältnisse und Unterstützung. Das können die Sozialen Unternehmen bieten. Zudem ergänzen sie durch Leistungen in wirtschaftlichen Nischen den heimischen Markt, ohne mit diesem in Wettbewerb zu treten“, ergänzte er sein Anliegen.

 

Vielfältige Leistungen

Die Sozialen Unternehmen übernehmen zahlreiche Leistungen: Catering für Schulmittagsbetreuung, Microverfilmung, soziale Landwirtschaft, Grünraum- und Waldpflege, Säuberung von Bushaltestellen, Instandhaltung von Spielplätzen, Industrieproduktionsservice, Fahrradservice, Upcycling, sie betreiben Second-Hand- und Bioläden u.v.m. „Sie bieten Leistungen, für die es sonst keine Anbieter gibt. Für Unzählige Wirtschaftsunternehmen, Gemeinden und Privatpersonen sind diese unverzichtbar“, verdeutlichte Benedicte Hämmerle.

Die Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte räumen etwa wöchentlich die Bushaltestellen der Gemeinde Alberschwende auf und führen Grünraumpflege in einem Dornbirner Naherholungsgebiet durch. Für den Vorarlberger Umweltverband wickelt carla die Altkleidersammlung und -verwertung ab. Fahrradständer oder Wurmkisten zur Kompostherstellung stammen aus Integra-Werkstätten. Für die Gemeinde Mäder führen AQUA Mühle-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Grünraumpflege und die Instandhaltung von Spielplätzen durch.

Für Rainer Siegele, Obmann des Vorarlberger Umweltverbandes und Bürgermeister von Mäder, ist die Zusammenarbeit wichtig. „Regionalität, soziale Verantwortung und Ökologie sind für uns wichtige Kriterien bei der Beschaffung. Da gehen wir keine Kompromisse ein“, bekräftigt Siegele. „Jeder Auftrag für Soziale Unternehmen hält Menschen im Erwerb, die sonst von der Mindestsicherung abhängig wären. Diese trägt auch die Gemeinde. So ist gesellschaftlich und auch finanziell jede Kooperation mit diesen Betrieben die bessere Variante.“

 

Erfolgsmodelle aus Europa

Um weitere Möglichkeiten auszuloten, gaben AMS und die Sozialen Unternehmen die Studie „Der zweite Arbeitsmarkt – Notlösung oder Wirtschaftstreiber?“ in Auftrag, die beim Thinktank erstmals vorgestellt wurde. Die Soziologin Dr. Eva Häfele präsentiert darin erfolgreiche Initiativen aus ganz Europa und zeigt die dafür notwendigen Rahmenbedingungen auf.

EU-weit geht es vor allem um Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit, die trotz konjunkturellen Aufschwungs nicht abnimmt. „In Österreich ist die Arbeitslosigkeit durch die gute Wirtschaftslage insgesamt zurückgegangen. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich in den vergangenen zehn Jahren aber verdreifacht“, hielt Benedicte Hämmerle fest.

 

Aktivieren statt „versorgen“

Die Studie zeigt an Beispielen auf, wie aktivierende Maßnahmen eine rein wohlfahrtsstaatliche Versorgung Erwerbsloser ablösen können. Unter dem Motto „Arbeit vor Transfereinkommen“ unterstützen etwa Kommunen in den Niederlanden die Sozialhilfeempfänger. Sie erhalten von der Gemeinde Hilfe bei der Arbeitssuche, durch Qualifizierungsmaßnahmen oder Bereitstellen von Arbeitsgelegenheiten.

Da die Arbeitsfähigkeit unterschiedlich ausgeprägt ist, braucht es auch differenzierte, stufenweise Angebote, schildert Studienautorin Eva Häfele. Diese sind an die Fähigkeiten der Menschen angepasst, was zu Erfolgserlebnissen und Selbstvertrauen führt. Das niederösterreichische Stufenmodell reicht von einer stundenweisen Beschäftigung über Arbeitstrainings bis zum längerfristigen Arbeitsplatz in Sozialen Unternehmen. Manche Modelle sehen auch dauerhafte Beschäftigungen vor.

„Der Erfolg sozialer Unternehmen wird derzeit einzig an der Vermittlungsquote gemessen, das greift jedoch zu kurz“, stellt Hämmerle fest. „Die Studie macht deutlich, dass weitere Parameter berücksichtigt werden müssen: die Gesundheit der Menschen, Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, ihre Konsumkraft, Einsparungen bei der Mindestsicherung und Notstandshilfe. Gesamtwirtschaftlich betrachtet amortisieren sich die Förderungen nach fünf Jahren“, ergänzt sie.

 

www.sozialeunternehmen-vorarlberg.at