Langzeitarbeitslosigkeit zur Chefsache erklären
v.l.: Harald Panzenböck, Leiter Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte, Bernhard Bereuter, AMS-Landesgeschäftsführer, Benedicte Hämmerle, Geschäftsführerin arbeit plus, Philipp Kloimstein, Primar und ärztlicher Leiter der Stiftung Maria Ebene
Copyright: arbeit plus / Sams Foto
Langzeitarbeitslosigkeit ist in unserer Mitte angekommen. Die Zahl der langzeitbeschäftigungslosen Personen ist in Vorarlberg – auch aufgrund von Corona – binnen eines Jahres um rund 85 Prozent gestiegen. Betroffen sind heute vermehrt neue Branchen und Altersgruppen. Bei der jährlichen Pressekonferenz zum Tag der Arbeitslosigkeit rief der Verband arbeit plus am 29. April 2021 in Dornbirn speziell das Land Vorarlberg und die Unternehmen zum Handeln und Umdenken auf.
Zum Tag der Arbeitslosen am 30. April 2021 gibt es so viele langzeitbeschäftigungslose Menschen wie noch nie zuvor: Mittlerweile ist fast ein Viertel der Arbeitslosen in Vorarlberg langzeitbeschäftigungslos – trotz leicht rückläufiger Arbeitslosenzahlen. Das wird laut arbeit plus, dem Verband der Sozialen Unternehmen in Vorarlberg, auch noch länger so bleiben: „Viele von Kündigungen und Konkursen Betroffene haben es aufgrund ihres Alters, ihrer Qualifikation oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung jetzt noch schwerer, eine Anstellung zu finden – selbst wenn die Wirtschaft sich bereits teilweise erholt“, stellt Benedicte Hämmerle, Geschäftsführerin des Verbandes arbeit plus, fest. Anlässlich des Tages der Arbeitslosigkeit am 30. April lud arbeit plus am Donnerstag, den 29.4.21 zu einer Pressekonferenz bei den Kaplan Bonetti Arbeitsprojekten nach Dornbirn ein. Die Mitgliedsbetriebe des Verbandes arbeit plus unterstützen im Speziellen langzeitarbeitslose Menschen.
Anpacken und umdenken
3.428 der beim Arbeitsmarktservice (AMS) Vorarlberg als arbeitslos Vorgemerkten gelten als langzeitbeschäftigungslos – das bedeutet, dass sie bereits seit mehr als einem Jahr dort gemeldet sind. Zwei Drittel von ihnen sind über 45 Jahre alt. Die höchste Zuwachsrate gibt es unter den 25- bis 44-Jährigen – das ist neu. Neue Branchen und Biografien sind betroffen. Der Verband sieht jedoch durchaus zwei wirksame Hebel gegen Langzeitarbeitslosigkeit: „Wenn zum einen das Land das Thema Beschäftigung zur Chefsache erklärt und keine oder keinen zurücklässt, können wir auch hier zur Modellregion werden. Zum anderen, wenn Unternehmen professionell dabei unterstützt werden, Arbeitsmöglichkeiten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit eingeschränkter Arbeitsfähigkeit zu schaffen, dann können wir alle, die ganze Gesellschaft, nur gewinnen“, erklärt Benedicte Hämmerle und ergänzt: „Derzeit sind bei uns rund 1.000 Personen pro Jahr temporär in Beschäftigungsprojekten bzw. Qualifizierungsmaßnahmen. arbeit plus kann, bei entsprechender Unterstützung durch die Fördergeber, diese Angebote für viele weitere Personen ausbauen – und zwar in zukunftsträchtigen Betätigungsfeldern wie zum Beispiel der Kreislaufwirtschaft.“
Langzeitarbeitslosigkeit kein Randgruppenthema
Langzeitarbeitslosigkeit ist kein Phänomen, das nur Menschen am Rande der Gesellschaft betrifft. Jeder oder jede von uns kennt inzwischen mindestens jemanden, der davon betroffen ist – und wir alle haben eine soziale Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen. „Bei Personen, die sich auf die offenen Stellen bewerben können wir davon ausgehen, dass sie motiviert und leistungsbereit sind. Es sind Arbeitskräfte, die wirklich arbeiten wollen und auch können, wenn man ihnen einen Schritt oder zwei entgegen geht. Unabhängig von der Dauer der Arbeitslosigkeit brauchen diese Menschen wieder Perspektiven: Erstens eine Einladung zum Bewerbungsgespräch und zweitens ein Jobangebot. Es darf doch nicht sein, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit darüber entscheidet, ob Personen zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden oder nicht. Um die Menschen wieder in die Arbeitswelt integrieren zu können, müssen wir alle – also Unternehmen, Politik und die Gesellschaft – erst einmal umdenken. Wer die Betroffenen einfach nur als „faul“ oder „unwillig“ abtut, betrachtet das Problem nicht differenziert genug. Die Frage lautet vielmehr: Was können wir tun, um ihre Arbeitskraft wieder nutzbar zu machen? Erst dann wird sich am Problem der Langzeitarbeitslosigkeit etwas ändern“, unterstreicht AMS-Landesgeschäftsführer Bernhard Bereuter. Unternehmen, die langzeitbeschäftigungslosen Personen eine Beschäftigungschance bieten, erhalten vom AMS für die Einarbeitungszeit einen Lohnkostenzuschuss. Das AMS übernimmt für die ersten drei Monate 100 Prozent der Lohnkosten. Fix ist: „Je länger eine Person ohne Erfolg auf Stellensuche ist, desto schwieriger gestaltet sich die Rückkehr in die Arbeitswelt. Zu verhindern, dass sich Arbeitslosigkeit verfestigt, ist eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre,“ ist sich Bereuter sicher. „Es ist ein Teufelskreis: Arbeitslosigkeit, vor allem wenn sie länger dauert, wirkt sich sehr oft negativ auf die Psyche des Menschen aus. Die Zuflucht oder das Abrutschen in eine Suchterkrankung geht damit, neben anderen gesundheitlichen Problemen, oft einher. Betroffene erfahren zudem im Alltag häufig Stigmatisierung und fühlen sich nicht mehr ganz zur Gesellschaft zugehörig. Besonders schlimm ist dabei, dass dies nicht rein die Betroffenen selbst, sondern auch ihr familiäres Umfeld, insbesondere die Kinder der Personen betrifft, die so unverschuldet mitleiden und gesellschaftliche Polarisierung erfahren“, betont Philipp Kloimstein, Primar und ärztlicher Leiter der Stiftung Maria Ebene. Dazu kommt, dass laut AMS 36 Prozent der Arbeitslosen von Armut bedroht sind.
Arbeitsmarktgipfel zum zweiten Arbeitsmarkt
Jetzt die Kräfte zu bündeln und gemeinsam dauerhaft gegen Langzeitarbeitslosigkeit vorzugehen, fordert arbeit plus. Gemeinsam mit dem AMS und der AK Vorarlberg plant der Verband einen Arbeitsmarktgipfel zum zweiten Arbeitsmarkt – jenem Bereich, in dem Menschen in Beschäftigungsprojekten bzw. über Qualifizierungsmaßnahmen für den Wiedereinstieg vorbereitet werden. „Unser Ziel ist es, mit der Politik, der Wirtschaft und den Sozialpartnern nachhaltige Modelle zu entwickeln, damit alle am Arbeitsmarkt benachteiligten Menschen, die arbeitsfähig sind, einer bezahlten Beschäftigung nachgehen können und dürfen“, erklärt Benedicte Hämmerle. Durch die vorübergehende Beschäftigung in einem Beschäftigungsprojekt und mittels intensiver Aus- und Weiterbildung soll die Chance auf eine Arbeit erhöht werden. „Auch für Menschen ab 45 muss es beispielsweise möglich sein, einen Lehrabschluss in einem Bereich zu machen, in dem Nachfrage besteht. Hierfür müssten allerdings die Qualifizierungsmöglichkeiten ausgeweitet werden.“
Beschäftigungsprojekte ausweiten
Die Sozialen Unternehmen können die Infrastruktur für weitere Beschäftigungsprojekte schaffen und dort auch ihre Erfahrung einbringen. Damit die neuen Projekte jedoch nachhaltige Wirkung erzielen können und auch das Stammpersonal dort Arbeitsplatzsicherheit erfährt, braucht es laut Harald Panzenböck, Leiter Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte, Planungssicherheit in Form längerfristiger Budgetzusagen: „Auch die bei uns Beschäftigten können durch ihre Arbeit wertvolle Beiträge zu den Zukunftsthemen Ökologisierung bzw. Klimaschutz sowie Digitalisierung leisten.“ Damit Derartiges nicht mehr passiert, fordert der Verband arbeit plus Soziale Unternehmen Vorarlberg mehr Budgetsicherheit und richtet den Appell direkt an die Bundesregierung nach Wien.