Vernissage „unlimited“

Ein Höhepunkt des diesjährigen Benefiz-Jazzbrunch war die Ausstellungseröffnung mit Arbeiten des Vorarlberger Künstlers Roland Adlassnigg. Er ist seit 1996 als Holz- und Steinbildhauermeister selbstständig. Ausgehend von der klassischen Skulptur beschäftigt er sich im Wesentlichen mit der Erweiterung des Kunstbegriffs bis hin zur Konzeptkunst und Inszenierung. Roland Adlassnigg präsentiert Werke seines Schaffens im Garten und in der Kantine unter dem Titel „unlimited“.

Peter Niedermayr sprach in seiner Vernissagerede über die Arbeiten des Bildhauers und Künstlers Roland Adlassnig. Er ist vielen aus dem Kulturbereich wohlbekannt, unter anderem schreibt er als Journalist für die Zeitschrift Kultur. Und zudem hat er auch einen Bezug zu Menschen in Notsituationen. Er ist im Vereinsvorstand im dowas tätig, eine Einrichtung der stationären Wohnungslosenhilfe in Bregenz.

In ihrem 2019 erschienen Essay „Lob der Schöpfung. In Vereidigung des irdischen Glücks“ schreibt die Philosophin Ariadne von Schirach, dass wir auf der Suche nach dem Glück mit der Rettung der Welt bei uns selbst beginnen müssten und die Gegenwart mit sensiblen Antennen so untersuchen, dass wir mit den Füßen am Boden bleiben, doch mit dem Kopf in den Wolken der Phantasie spazieren gehen sollen. Heute, hier im paradiesischen Garten des Bonetti Hauses in Dornbirn nimmt uns Roland Adlassnigg mit auf diesen Spaziergang. Wir wissen von Sören Kierkegaard, dem dänischen Denker, dass aus dem Akt der Wiederholungen Menschen und Systeme sich in die Richtung bewegen, in die sie schauen und die Fragen, die wir stellen, darüber entscheiden, was wir finden. Sinn, der sich in Form ausdrückt, wird. Weil das Leben eine Ganzheit ist. Einklang, Resonanz und Rhythmus. Tag und Nacht. Text, Gewebe und Struktur. Vergehen und neues Werden. Schauen wir uns die Steine an, acht an der Zahl, alle berädert.

Roland Adlassnigg und hier ein weiterer Werkstattbericht aus seinem Laboratorium. Der in Rankweil lebende vielseitig engagierte Künstler präsentiert ein Amalgam seiner Erinnerungen und projiziert uns mit seinen Visionen in den Garten, jenen Ort, den wir beide seit vielen Jahren kennen. Dabei entfaltet er anekdotenhaft stenografisch Festgehaltenes, Geschichtsgeschichten in Erzählsträngen, die wie Molly Blooms legendärer Monolog am Ende des letzten Kapitels in James Joyces „Ulysses“ dem großen Ja entgegenstrebt und diverse Narrative, die er in einem Gedächtnisspeicher festhält, so als führte das Gedächtnis ein multiperspektivisches Doppelleben.. Diesmal ist der Fokus seines künstlerischen Blicks darauf abgestellt, wie es denn möglich wäre und gar also denn sein könnte, mit dem griechischen Gott Kairos, dem Gott für den geeigneten Augenblick, also mitnichten die Illusion des Augenblicks fest- und die Zeit anzuhalten, dem Augenblick künstlerische Ewigkeit verleihend, die Zeit in ihrer sequentiellen Messbarkeit und somit Chronos überlisten. Mit den Zeichen, die in diesem Nu auftauchen, eröffnet und vitalisiert er ein unendliches, mit assoziativen Feldern angereichertes Netz. Aufgeladen. Mit Formen, die fremdartig und vertraut zugleich scheinen, entstehen in unseren Köpfen Bilder, die dort gespeichert sind, und ein weiteres Mal bebildert werden. Und seziert vor unseren Augen in an- und erregend aufregender Verlangsamung die stille, weil prekäre Revolte. Stones on the Move. Times is on our Side, haben wir vor ein paar Minuten gerade von der Stephan Lingg Combo gehört. Wir wollen mit ihm heute nicht nach „Schoppernou“ sondern vom You can’t always get what you Want weiter zum We Sit and Watch the Children Play zu We Create Satisfaction on a Sunday Morning’s Coming Down … Not how much and how long. We are simply doing it. As best as we can.

Wie Sie, geschätzte Sonntagsgäste, sehen ist nicht Langeweile der Traumvogel, der das Ei dieser Adlassnigg‘schen Kunst ausbrütet. Es ist vielmehr die konjunktivische Perspektive, was wäre wenn?  Als die Frage, die die künstlerische Inszenierung auslöst. Seine Kunst führt in die Ambivalenz, ins Multiperspektivische, ins Nicht-Eindeutige. Wie anders wäre das sonst möglich? Und dennoch ist da Der Weg ins Freie, wie bei Schnitzler. Es visualisiert hinter den Kulissen des Alltags das Unsichtbare. Damit sind des Künstlers wesentliche materielle Obsessionen benennbar und die zugrunde gelegten Koordinaten seiner Kunst angezeigt, die da waren: Schnaps, Kaffee, Gitanes ... Kurzer Kommentar zu Gitanes oder eine Rauchaffäre … Und jetzt aktuell Steine und Stahl. Es ist keine konstruierte Geschichte, die er da erzählt. Vielmehr ist seine Kunst exhibitionistisch und dennoch nicht voyeuristisch oder zeitgeistig, ein Ausschnitt des gegenwärtig zeitgenössischen Selbst dieser Zeit und dieser Gesellschaft abgebildet. Roland Adlassnigg seziert die Zeit, nicht im menschlich-körperhaft anatomischen Sinne. Er kommt von der Bildhauerei und deren Traditionen, springt über die Grenzen, in ein anderes Material, in ein anderes Medium, experimentiert im Neuland, faltet aus, ohne zu plätten und kommt wieder ins Dreidimensionale. Dabei ist die Fotographie und die illustrative Skizze ein Zwischenschritt. Er friert die Form ein, um sie dann wieder ins Körperhafte zu transformieren. Und begibt sich, philosophisch gesehen, in die ästhetische Formalisierung. Zeigt skulpturale Schnitte. Auf Skizzen, zweidimensional.

Dabei agiert Roland Adlassnigg mit ironischem Humor. Die Ausstattung seiner künstlerischen Welt ist so elegant wie reduziert, das materialistische Setting der eingesetzten Mittel ist archetypisch. Steine und Stahl. Bei Gitanes oder eine Rauchaffäre waren es Bogengänge des Zufalls. Etwas wie Anufern an Küsten. Etwas wie rauchen-gläserne Küsse. Etwas wie ein schütterer Morgen. Etwas wie Samt, bläulich und mäandernd auf den Hügeln der Nacht. Etwas wie Süße ohne Anblick. Wie ein Hallraum der Poesie aus der Welt Friederike Mayröckers. Roland Adlassnigg wirft die kleine Traummaschine an, die uns mit unseren Leidenschaften zu Menschen macht. Blaue Netze der Sehnsucht, in denen man sich lustvoll verfangen könnte.

Die Frage, ob sich Steine bewegen können, hat die Menschen immer magisch interessiert. Gemeint ist nicht transportlogistische, spediteurische Bewegung, sondern wie Steine in Bewegung kommen. Wie die megalithischen Steine von Wales nach Stonehenge in Südenglang kamen, die riesigen Sandsteinklötze zur Cheops-Pyramide, wie die Steine für die Grundmauern der Mayapyramiden in den Dschungel von Guatemala … Mit dem Ausstellungstitel spielt der Künstler mit dem Thema der Grenzen, das wörtlich übersetzte „unlimited“ - „grenzenlos“ zielt auf das Überschreiten und Überwinden von Grenzen ab. Mit „Unlimited“ nimmt er die revolutionäre Idee auf, dass Steine sich zwar nicht wirklich selbst bewegen können, und sich doch bewegen, wenn man den Forschungen des französischen Anthropologen Jean Malauries, der sich in vielen Besuchen mit der Kultur und den Künsten der Inuit an der kanadischen Beringstraße und im äußersten Norden Russlands auseinandergesetzt hat. Malaurie hat die steinenen Geröllhalden beobachtet und deren dynamische Eigenbewegungen untersucht. Später einmal, wenn ich dann dazu kommen sollte, werde ich dorthin reisen und Jean Malauries darüber sprechen, inzwischen kann man /frau das alles zu einem guten Stück nachlesen. In einer der besten Zeitschriften der Welt, die in Berlin erscheint. Lettre International. Bei Roland Adlassnigg haben die Steine Räder bei sich. Das scheint uns nur paradox, sondern verweist auf diese oben genannte Traummaschine.

2014 hat Adlassnigg unter dem Titel „Gipfeltreffen“ insgesamt acht Modelle mit je zwischen 250 und 25 kg kreiert, eines davon steht im Kreisverkehr am Ende der Autobahn in Rankweil Richtung Feldkirch. Schon lange fasziniert ihn die Illusion der „moving stones“, die mit Rädern aus Stahl „an den Füßen“ eine eigene Dynamik entwickeln. „Gipfeltreffen“ war der ursprüngliche Titel, mit den Namen einzelner Bergspitzen, die Steine aus verschiedenen Orten. Die acht Arbeiten von Roland Adlassnigg werden hier im Garten des Bonetti Hauses präsentiert, drinnen in der Kantine die parallel dazu entstandenen Druckgrafiken. Ab 2020 sind neue Steine entstanden, nicht mehr auf zwei sondern nur auf einem Rad. „Balance“ ist der Titel für diese neuen Schöpfungen. Wer je auf einem Einrad zu balancieren probiert hat, weiß um das erforderliche Feingefühl für das Gleichgewicht. Die Steine spiegeln existenzielle Figuren des Alltagslebens, sind Zustandsberichte von Bewertungen. Zur Philosophie der Steine: Steinhalden, in Bewegung, nicht mehr auf zwei sondern nur auf einem Rad, noch prekärer, die Balance auf einem Rad ist noch anspruchsvoller. Das Leben darauf ist instabil. Alles andere wären Trugbilder. Wo wir eh schon längst wieder in einem Sandkasten leben. Dieses „Unlimited“ Dimension entsteht künstlerisch aus dem Spielerischen, Ausprobieren, aus der Laborsituation; in Richtungen forschend, doch eher ziellos, wie bei Friedrich Schiller im Zitat aus den Ästhetischen Briefen, vom Spiel. „Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt.“ Etwas Ambivalentes im Spiel von leicht und schwer, Kontraste, schnell und langsam, Bewegung und Tempo, der Stein an sich ist die Ruhe in sich selbst. Mit dem Kopf in den Wolken der Phantasie. Im Hallraum der ewigen Ewigkeit des Augenblicks.

pen für Roland A., 5.9.2021