„Stille Reserve“ Potenzial von Beschäftigungsprojekten nützen

Förderungsbedingte Schließungen erschweren Arbeit gegen Langzeitarbeitslosigkeit 

Dornbirn (AT). Die Arbeitslosenzahl steigt wieder deutlich an. Der Verband arbeit plus warnt vor den psychischen und physischen Schäden, die Arbeitslosigkeit verursachen kann. Er weist zudem auf ein ungenutztes Potenzial – die sogenannte „Stille Reserve“ – hin und fordert, gemeinsam Vorarlberg zur Modellregion für gesellschaftliche Innovation zu machen. Trotz angespannter Lage am Arbeitsmarkt hat er aber einmal mehr mit Budgetkürzungen zu kämpfen, die sogar das Ende für vier Dienstleistungsangebote bedeuten.

Der 30. April ist der Tag der Arbeitslosen. Einen Tag später, am 1. Mai, wird jährlich der Tag der Arbeit gefeiert. „Für arbeit plus ist der Tag der Arbeitslosen jener Tag, an dem wir bewusst machen, dass Arbeit Teilhabe an der Gesellschaft bedeutet. Keine Arbeit zu haben, bedeutet demnach auch, nicht dazuzugehören, bedeutet den Ausschluss aus der Gesellschaft und das führt zu einem gesellschaftlichen Riss“, sagt Ulrike Schmid-Santer, die designierte Geschäftsführerin von arbeit plus. Ab 1. Mai 2024 übernimmt sie in dieser Funktion die Agenden von Benedicte Hämmerle. arbeit plus vereint jene fünf Sozialen Unternehmen in Vorarlberg, die am zweiten Arbeitsmarkt befristete Arbeitsplätze für Personen in Langzeitarbeitslosigkeit anbieten. Ende März 2024 waren laut AMS Vorarlberg ungefähr 12.000 Menschen in Vorarlberg ohne Arbeit. Das sind 13,2 Prozent mehr im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt vor einem Jahr. Davon sind 1.571 Personen seit mehr als einem Jahr auf Arbeitssuche (Stand 2/2024). Laut aktuellen Prognosen des AMS werden diese Zahlen weiter steigen.

Vier wertvolle Dienstleistungsangebote müssen geschlossen werden

Seit März hat arbeit plus einen neuen Vorstand mit ambitionierten Plänen. Doch diese müssen erst einmal warten, denn die Realität sieht für die Sozialen Unternehmen anders aus. Aufgrund von Budgetkürzungen muss Integra das Eichamt, die Schulungsgastronomie in Bludenz und Carwash in Wolfurt aufgeben. Aqua Mühle ist gezwungen, mit Ende des Schuljahres zwei Schulkantinen zu schließen. Dadurch fallen insgesamt 17 Beschäftigungsplätze für langzeitarbeitslos gemeldete Personen weg. Das Thema ist nicht neu: Die Sozialen Unternehmen kämpfen seit Jahren mit finanziellen Kürzungen, zusätzlich seit 2023 mit einer sinkenden Auftragslage, etwa durch die Vorarlberger Industrie, sowie mit steigenden Unternehmenskosten für die Infrastruktur und das Personal. Der hohe selbst erwirtschaftete Anteil von etwa 60 Prozent kann das Defizit nicht abdecken. Ein nachhaltiges soziales Wirken gegen die Arbeitslosigkeit wird quasi unmöglich. „Derzeit sind die Förderzusagen auf ein Jahr befristet. Es ist schwierig, ohne längerfristige Förderzusagen wirtschaftlich sinnvoll zu planen“, klagt der neue Obmann Harald Panzenböck im Namen der Mitgliedsbetriebe. Wieder habe der Wegfall an Budget sogar direkte Auswirkungen auf Beschäftigungsprojekte. „Um Arbeitslosigkeit gezielt entgegenzuwirken, setzen wir Projekte professionell in kurzer Zeit um – damit sie dann wieder mangels Budget geschlossen werden müssen“, kritisiert Integra-Geschäftsführer Patrick Breuss. „Das ist kein nachhaltiger Umgang mit den betroffenen Menschen und mit Steuergeldern.“ 

Die Abteilung für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik des Landes Vorarlberg als einer der Fördergeber hat arbeit plus in jüngsten Gesprächen Rückhalt für die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Sozialen Unternehmen zugesichert.

Potenzial durch die „Stille Reserve“

Die Sozialen Unternehmen Vorarlberg planen, ihre aktive Arbeitsmarktpolitik gemeinsam mit dem Land und dem AMS Vorarlberg weiterzuentwickeln. „Arbeit für alle ist das, was wir anstreben“, unterstreicht Harald Panzenböck. Bedarf und Potenzial sieht arbeit plus vor allem in der sogenannten „Stillen Reserve“. So bezeichnet werden Menschen, die grundsätzlich erwerbstätig sein möchten, derzeit aber weder am Erwerbsarbeitsmarkt noch beim Arbeitsmarktservice (AMS) aufscheinen. „Laut Statistik Austria waren das 2022 österreichweit 150.000 Menschen. Es gibt also insgesamt ein großes Potenzial an Arbeitskräften, das mit zielgerichteten Angeboten vor allem für den ökologisch sozialen Bereich erreicht werden kann“, erklärt Harald Panzenböck. „Gerade in Anbetracht des aktuell vorherrschenden Personalmangels sollten wir diese Reserve mobilisieren. Die Sozialen Unternehmen können mit ihrem Know-how einen wichtigen Beitrag leisten, um genau diese Menschen anzusprechen und ihnen passende Arbeitsplätze zu bieten.“

Gesundheitliche Auswirkungen

Langzeitarbeitslosigkeit kann gravierende Folgen haben. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass sie sowohl die psychische als auch die physische Gesundheit verschlechtern kann. Langzeitarbeitslose Personen haben beispielsweise ein höheres Risiko, Depressionen sowie Herz-Kreislauf- oder Suchterkrankungen zu erleiden. Das wiederum verringert ihre Chance auf einen (Wieder-) Einstieg ins Berufsleben, stattdessen fallen vermehrt medizinische Kosten an. „Mit zielgerichteten Angeboten und Maßnahmen können die Sozialen Unternehmen in Vorarlberg einen guten und großen Beitrag leisten. Sie können arbeitsmarktferne und entmutigte Menschen wieder in den Erwerbsarbeitsmarkt einbinden. Gleichzeitig unterstützen wir dabei die Gesundheit der Menschen und entlasten implizit das Gesundheitssystem finanziell“, betont Ulrike Schmid-Santer. 

Vorarlberg als Modellregion

Um die Arbeitslosigkeit zu überwinden, fordert arbeit plus die gemeinsame Weiterentwicklung des zweiten Arbeitsmarktes. „Es braucht gesellschaftliche Innovationen“, fordert Harald Panzenböck. Daher suchen die Sozialen Unternehmen auch in regelmäßigen Expert:innenrunden den Austausch mit Politik, Wirtschaft und Kommunen. 
In der Vernetzung mit der Vorarlberger Wirtschaft und den Fördergebern AMS und Land Vorarlberg bündelt arbeit plus die Kompetenz in Fragen zur (Langzeit-)Arbeitslosigkeit und sieht sich als die zentrale Drehscheibe: „Es geht darum, Abläufe zu analysieren, um möglichst viele langzeitarbeitslose Menschen fit für den Berufsalltag zu machen. Vorarlberg könnte hierfür eine Modellregion werden“, ergänzt Harald Panzenböck.

Forderung nach gesicherten Beschäftigungsplätzen 

Die Sozialen Unternehmen fordern daher die Zusage von langfristigen Fördermitteln, um Betroffenen passende Beschäftigungsplätze bieten zu können. „Die sozialökonomischen Betriebe im Verband arbeit plus und alle dort beschäftigten Menschen leisten wertvolle Arbeit. Sie übernehmen wichtige Dienste im Sinne des Gemeinwohls. Unsere aktive Arbeitsmarktpolitik ist schon gut, wir müssen sie aber laufend anpassen und weiterentwickeln. Unser Anliegen ist, langzeitarbeitslos gemeldete Menschen entsprechend ihrem Leistungsvermögen weiterhin sinnvoll zu beschäftigen – wenn nötig auch längerfristig“, fasst der Obmann abschließend zusammen.

Wechsel in der Geschäftsführung

Ulrike Schmid-Santer übernimmt ab 1. Mai 2024 die Geschäftsführung von arbeit plus in Vorarlberg. Sie folgt Benedicte Hämmerle, die diese Funktion neun Jahre lang innehatte und auch bei der Pressekonferenz anwesend war, als Geschäftsführerin nach. „Ich freue mich auf die neue Aufgabe und bedanke mich bei Benedicte Hämmerle im Namen aller Mitglieder von arbeit plus in Vorarlberg für die herausragende Arbeit in den vergangenen Jahren. Uns stehen herausfordernde Zeiten bevor, die wir gemeinsam proaktiv und mit vollem Einsatz gestalten möchten“, sagt Schmid-Santer zu ihrem Antritt.

Über arbeit plus Soziale Unternehmen Vorarlberg 

Die Mitgliedsbetriebe von arbeit plus Soziale Unternehmen Vorarlberg, Aqua Mühle Vorarlberg, Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte, Integra, carla – Caritas Vorarlberg und die Dornbirner Jugendwerkstätte, unterstützen seit vielen Jahren langzeitbeschäftigungslose Menschen dabei, wieder in bezahlten Arbeitsverhältnissen Fuß zu fassen. Ihre zentrale Aufgabe ist es, Menschen zu beschäftigen, zu qualifizieren und zu vermitteln, die zumindest vorübergehend am ersten (regulären) Arbeitsmarkt nicht eingesetzt werden können. 

Diese Arbeit beugt Armut vor, sie gibt Benachteiligten Sicherheit und Gemeinschaft, fördert die Gesundheit und Integration der Beschäftigten ins gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben und leistet einen entscheidenden Beitrag zum Erhalt des sozialen Friedens. Die fünf Sozialen Unternehmen leisten mit ihrer gemeinnützigen Tätigkeit zudem einen wesentlichen Beitrag zum Gemeinwohl in Vorarlberg. 

Zahlen, Daten, Fakten – arbeit plus Soziale Unternehmen Vorarlberg
Geschäftsführerin: Benedicte Hämmerle, ab 1. Mai: Ulrike Schmid-Santer
Obmann: Harald Panzenböck 
Mitgliedsbetriebe: Aqua Mühle Vorarlberg, Kaplan Bonetti Arbeitsprojekte, Integra, carla – Caritas Vorarlberg, Dornbirner Jugendwerkstätten
AMS-Förderung 23 (SÖB): geplant 7,1 Mio. Euro (2022: 9,4 Mio.) 
Landesförderung 23 (SÖB): 2,9 Mio. Euro
Jahresumsatz: ca. 40 Mio. Euro
Festangestellte: rund 300
Temporär Beschäftigte: rund 1.000 pro Jahr
Standorte in Vorarlberg: 50
Betreuungsangebot: diverse gemeinnützige Tätigkeiten in befristeten Dienstverhältnissen, Arbeitstrainings, Qualifizierungsangebote, Schulungen, persönliche
Unterstützung durch Sozialarbeiter:innen


Tätigkeitsfelder der Vereinsmitglieder arbeit plus SUV 

  • Catering/Gemeinschaftsverpflegung: Verpflegung/Bewirtung für Messen, Großveranstaltungen, Kindergärten, Schulen, Pflegeheime und verschiedene andere Betriebe
  • Betreiben von Geschäften wie Secondhand Shops, Nahversorgung etc. 
  • Leistungen in der Kreislaufwirtschaft und für den Klimaschutz, Textil-, Metall- und Papierrecycling 
  • Objektreinigung von Sozialzentren, Autowaschdienst, Raumpflegearbeiten
  • Landschaftspflege, Beseitigung von Littering an Landesstraßen
  • Betreiben von Werkstätten, z. B. Textil, Holz, Fahrradwerkstatt, Metallwerkstatt
  • Fachgerechte Entsorgung von Daten, Datenträger sowie PCs und Laptops lt. der EU-Datenschutzverordnung (DSGVO)
  • Industrielle Fertigung für große und kleinere Vorarlberger Wirtschaftsbetriebe
  • Wäscheservice für Gastronomiekunden
  • Aufräumarbeiten und Reinigung nach Wohnungsauflösungen, Verwüstungen, usw.
(c) arbeit plus/Udo Mittelberger
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